- Medizinnobelpreis 1991: Erwin Neher — Bert Sakmann
- Medizinnobelpreis 1991: Erwin Neher — Bert SakmannDie beiden Deutschen erhielten den Nobelpreis für »ihre Forschungen bezüglich der Signalübertragung mittels Ionenkanälen in und zwischen Zellen«.BiografienErwin Neher, * Landsberg a. Lech 20. 3. 1944; 1970 Promotion an der TU München, seit 1972 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen, 1980 Habilitation, seit 1983 Professor und Direktor des Max-Planck-Instituts für Membranbiophysik in Göttingen.Bert Sakmann, * Stuttgart 12. 6. 1942; ab 1968 Doktorand am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München, 1974-89 Forscher am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen, 1974 Promotion, 1981 Habilitation, 1987 Berufung zum Professor, seit 1989 Direktor des Max-Planck-Instituts für medizinische Forschung in Heidelberg.Würdigung der preisgekrönten LeistungDie beiden Biophysiker Erwin Neher und Bert Sakmann erhielten 1991 den Nobelpreis für ihren Nachweis der Ionenkanäle in der Zellmembran (Plasmamembran). Mit ihrer Patch-Clamp-Technik (Membran-Fleck-Klemme), dem Aufsetzen einer dünnen Glaspipette auf die gereinigte Oberfläche einer Nervenzelle, kann die Aktivität einzelner Ionenkanäle in der Zellmembran gemessen weden. Das hat die Erforschung der Reizübertragung bei menschlichen Zellen wesentlich vorangebracht und auch zur besseren Erforschung einiger Krankheiten beigetragen.Ionenkanäle spielen bei der Übertragung von Signalen in und zwischen Zellen eine entscheidende Rolle. Sie sind porenbildende Proteine, die in der äußeren Zellmembran fast aller Zelltypen eines Organismus vorkommen und die elektrische Aktivität von Nerven- und Muskelzellen vermitteln, indem sie physikalische oder chemische Sinnesreize in elektrische Signale für das Nervensystem übersetzen. Dass Ionenkanäle bei der Übertragung von Signalen in und zwischen Zellen eine entscheidende Rolle spielen, war bereits seit den 1950er-Jahren vermutet worden. Zwar konnten elektrische Ströme gemessen werden, die auftreten, wenn Ionen (elektrisch geladene Atome oder Moleküle) durch Membrankanäle wandern, aber die Technik war bis in die 1970er-Jahre so grob, dass sich damit lediglich das Verhalten vieler Ionenkanäle gleichzeitig erfassen ließ.Neher und Sakmann arbeiteten seit 1973 im Max-Planck-Institut in Göttingen gemeinsam an dem Problem, wie einzelne Ionenkanäle zu isolieren wären. Sie hatten sich als Doktoranden am Max-Planck-Institut in München kennen gelernt, wo sie beide über die Biophysik von Zellmembranen promovierten. Zwei Publikationen aus den Jahren 1969 und 1970 hatten ihr besonderes Interesse geweckt, in denen es um künstliche Lipidmembranen ging, die wie biologische Membranen auch aus einer Lipiddoppelschicht aufgebaut sind und in ihrer reinen Form als elektrische Isolatoren wirken. Amerikanische Wissenschaftler hatten festgestellt, dass die Membranen elektrisch leitfähig werden, sobald geringe Mengen bestimmter Antibiotika oder Proteine in sie eingebaut werden. Weil der hindurchfließende Strom sich stufenartig veränderte, vermuteten die Wissenschaftler, dass einzelne Proteinmoleküle Kanäle durch die künstliche Membran bilden, wobei die Stufen dem Öffnen und Schließen solcher Poren entsprechen.Ein neues MessverfahrenNeher und Sakmann begriffen, dass eine Messtechnik mit besserem Auflösungsvermögen einen ganzen Mikrokosmos von Signalmolekülen erschließen würde. Sie wussten, dass die Messgeräte nur dann mit der gewünschten Empfindlichkeit ansprechen würden, wenn es gelänge, aus der Zellmembran ein sehr kleines Areal zu isolieren. Dazu benutzten sie eine mit elektrisch leitender Flüssigkeit gefüllte Mikropipette aus Glas, die sie auf eine enzymatisch gereinigte Muskelfaser aufsetzten. Da Glas Strom nicht leitet, hofften sie, nur einige wenige Ionenkanäle von der restlichen Membran zu isolieren und so ein klares Messsignal zu erhalten. Allerdings war es nicht einfach, eine dichte Verbindung zwischen Pipette und Membran zu erzielen. Dennoch erreichten die beiden Forscher durch eine Reduzierung der Pipettengröße und eine Optimierung ihrer Form langsam den Punkt, an dem Signale vor dem Rausch-Hintergrund auftauchten. 1976 publizierten sie ihre Ergebnisse in der englischen Fachzeitschrift »Nature«. Die rechteckförmige Natur der Signale war für Neher und Sakmann ein Beweis für ihre Hypothese, dass sich Kanäle in biologischen Membranen in einem Alles-oder-nichts-Prozess öffnen und schließen. Das Abdichtproblem lösten sie erst später: 1980 beobachteten sie zufällig, dass der Abdichtwiderstand um zwei Größenordnungen anstieg, sobald ein leichter Unterdruck auf die Pipette gegeben wurde. Das verbesserte die Messung und erwies sich als nützliches Werkzeug zur Manipulation von Membranflecken und kleinen Zellen.Die Patch-Clamp-Methode eignet sich allerdings nicht nur zur Aufklärung molekularer Details der Kanalfunktion, sondern auch als Spannungsklemme, um Mechanismen der Signalübertragung auf Zellebene zu untersuchen. Mit der neuen Pipette konnten endlich auch Säugetierneuronen und andere kleine Zellen für Untersuchungen zugänglich gemacht werden. Selbst bei der Entstehung neuen Lebens, also der Verschmelzung von Spermium und Eizelle, sind Ionenkanäle beteiligt. Sobald ein Spermium mit einer Eizelle verschmilzt, werden diese aktiviert und die resultierende Veränderung des Membranpotenzials verhindert, dass weitere Spermienzellen in das Ei eindringen können. Fast jede Zelle, ob Nerven- oder Blutzelle, hat ein charakteristisches Muster von Ionenkanälen, die nur bestimmten Ionen, beispielsweise positiv geladenen Calciumionen oder nur negativgeladenen Chloridionen den Durchfluss ermöglichen. Dabei entspricht der Durchmesser eines Ionenkanals in etwa dem des für ihn wichtigen Ions. In einigen Fällen übernimmt ein Ring aus Aminosäuren auch die Funktion eines Ionenfilters, der lediglich Ionen mit entgegengesetzter Ladung den Zugang erlaubt.Klärung pathologischer MechanismenViele Krankheiten beruhen auf einer Fehlfunktion der Ionenkanäle: Zahlreiche pathologische Mechanismen konnten in den 1980er-Jahren durch die bessere Beobachtung der Ionenkanäle geklärt werden, beispielsweise die Wirkungsweise des Insulins: Der Blutzuckerspiegel kontrolliert die Konzentration von Zucker innerhalb der insulinbildenden Zelle, der wiederum die Konzentration der energiereichen Substanz Adenosintriphosphat (ATP) reguliert. ATP wirkt direkt auf bestimmte Ionenkanäle, die das elektrische Membranpotenzial einer Zelle regulieren. Die Veränderung des Membranpotenzials wirkt dann direkt auf andere Ionenkanäle, die Calciumionen in die Zelle pumpen. Die Calciumionen lösen dann die Insulinproduktion aus. Bei der Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) ist diese Insulinsekretion gestört. Bestimmte Medikamente, die bei Diabetes zur Insulinsekretion eingesetzt werden, wirken direkt auf die ATP-kontrollierten Ionenkanäle.Zusammenfassend kann man sagen, dass Nehers und Sakmanns Entdeckungen eine Revolution für die Zellbiologie bedeutet haben und dass sie das Verständnis für verschiedene Krankheitsmechanismen geschaffen und die Entwicklung neuer, hochwirksamer Medikamente ermöglicht haben.M. Geckeler
Universal-Lexikon. 2012.